21. April 2022

Achtsamkeit und spirituelle Selbstbildung Achtsamkeit und spirituelle Selbstbildung

Ein Workshop über und in Präsenz

Ein Beitrag von Viktoria Lenz (TP 4)

Neues aus dem Resilienzprojekt
Neues aus dem Resilienzprojekt © -
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Am 20.07.2021 veranstaltete das Teilprojekt 4 seinen Workshop mit dem Titel „Achtsamkeit, Spiritualität und Resilienz“. In diesem Expertenworkshop kam Achtsamkeit vor allem aus der Perspektive des Zen-Buddhismus zur Sprache und das produktive Wechselverhältnis zwischen Achtsamkeit, Spiritualität und Resilienz wurde näher beleuchtet. Dabei ging es im doppelten Sinn um Präsenz. Über Präsenz und Präsenzausdehnung wurde im Hinblick auf Achtsamkeit gesprochen. Zudem konnte der Workshop als Präsenzveranstaltung im Katholisch-Sozialen Institut in Siegburg bei Bonn stattfinden, was sowohl von der Referentin als auch von den Teilnehmenden begrüßt wurde und in diesen Zeiten eine angenehme Besonderheit darstellte.


Vorbereitet wurde der Workshop von Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister und Viktoria Lenz, um sich zusammen mit der Referentin Doris Zölls (Zen-Meisterin und evangelische Theologin) über Achtsamkeit aus spiritueller Perspektive auszutauschen und Achtsamkeit näher zu bestimmen. Trainingsprogramme zur Achtsamkeit, die auch für Resilienz förderlich sind, basieren häufig auf MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction), einer Entspannungsmethode nach Prof. Jon Kabat-Zinn der University of Massachusetts. MBSR ist aus einer Synthese von spirituellem Wissen, Erkenntnissen der modernen Neurowissenschaft und Elementen der Verhaltenspsychologie entstanden. Die Grundlage der Methode bildet dabei die Buddhistische Tradition.


Doris Zölls nahm die Teilnehmenden zunächst mit in die Sicht auf das Selbst- und Weltverhältnis im Zen-Buddhismus. Es gehe im Zen-Buddhismus darum, in das Erleben zu kommen. Die Welt sei Ausdruck des Einen und alles ist eins. Die Transzendenz sei gleichzeitig Immanenz. Hier stellt sie einen Kontrastpunkt zum christlichen Verständnis her. Die Welt werde im Buddhismus als Vielheit wahrgenommen, die sich in Gegensätzen zeige und erweise. Der Alltagsgeist erfasse diese Gegensätze und versuche durch Achtsamkeit die Substanzlosigkeit zu erkennen. Das zu erfahren, bedeute Vernunft- und Verstandesgründe auszuschalten und in eine besondere Qualität des Denkens zu kommen. Achtsamkeit meine in der Alltagssprache eher Aufmerksamkeit bzw. awareness. Achtsamkeit im eigentlichen Sinne als mindfulness sei paradoxerweise ein Ausdruck der Leere. Zu Achtsamkeit führe allerdings die Aufmerksamkeit mit ihrer Technik der Fokussierung, um den Moment „halten“ zu können. Hier lassen sich Veränderungen im geistigen Zustand durch neurowissenschaftliche Untersuchungen feststellen. Die Referentin betonte, dass der Moment der Präsenz nicht steuerbar oder planbar sei. Es gehe vielmehr darum, die Angst des sich-Verlierens zu überwinden, und darum einzuüben, sich dieser Angst des Selbstverlustes zu stellen. Der Geist sei schließlich so fokussiert, dass er aufgebe. Bei der Rückkehr in die Denkstruktur der Umwelt finde Entschleunigung statt. Das Ich in seiner Präsenz werde verdichtet und es gelte den Geist, der Konzept und Einordnung sucht, aber wirkliche Freiheit nur in der Präsenzausdehnung erlebt, dahingehend zu trainieren. Dies umfasse eigentlich das ganze Leben. Sie verwendete die Metapher „grün sehen, ohne grün zu sagen“. Der Geist solle sich in ein Wissen des Nicht-Wissens einlassen. Auch wenn Einordnung und Rationalität einen gewissen Halt gäben, erfahre der Geist die wirkliche Freiheit und das Geschehen einfach so in der Präsenzausdehnung, die durch die Achtsamkeitsübungen hergestellt werden könne.


Resilienz und Achtsamkeit in Verbindung zu bringen, würde über das Konzept er Freiheit vermittelt werden. Die Erfahrung der Präsenzausdehnung könnte als Freiheit gedeutet werden. Resilienz kann im Anschluss an die Projektarbeit ebenso als Freiheit in der Krise umschrieben werden. Die Situation und die Umgebung sind vielleicht gleich geblieben, aber man selbst steht nun anders dazu. Es kann von Widerfahrnis der Krise gesprochen werden. Resilienz kann also als Haltung bzw. als Einstellung umschrieben werden, wenn bewertungsoffen aus einer achtsamen Haltung heraus dem Widerfahrnis der Krise begegnet wird. Resilienz stellt sich dann ein und ist diese erlebte Freiheit. Es lässt sich anschließend an den Input davon sprechen, dass jemand sich als resilient erweist anstatt ist. Achtsamkeitstrainings im Anschluss an den Zen-Buddhismus können dabei helfen, die Bewertungsebene zunächst zu verlassen und den Prozess anzunehmen. Es kann ein bewertungsoffenes Denken ermöglicht werden. Achtsamkeit fungiert hier als Metakognition eines Anvertrauens bzw. eines Vertrauens.


An dieser Stelle fand in unserem Workshop der thematische Übergang zu und die Verbindung mit christlicher Spiritualität statt. Misstrauen wird überwunden. Der Mensch gibt sich aus Vertrauensgründen den Umständen anheim. Es herrscht Vertrauen in die Übung und das Sosein-Dürfen vor Gott. Leben an sich ist vertrauensvoll und darf es auch jederzeit sein. Es ließe sich zugespitzt formulieren: Die Immanenz der Krise ist die Transzendenz. Es geht nicht darum, etwas über die Immanenz zu lesen, sondern es geht letztlich um absolutes Vertrauen in der Krise, das dann Resilienz ermöglicht – in mich selbst, in die anderen, in die Welt, in Gott. Wichtig war ebenso die Differenzierung zwischen Achtsamkeit und Kontemplation. Kontemplation wurde im Workshop umschrieben als Übung des gläubigen Menschen, der vita activa (Kausalität) und vita contemplativa (Konditionalität) zu verbinden versucht. Kausalität und Konditionalität als Verhältnis des Menschen zur Welt stehen aber vielmehr nebeneinander. Dies ließ sich am besten über ein Beispiel veranschaulichen: Man kann einen Plan machen, aber im Tun ereignet er sich und im Augenblick entscheidet sich, ob er klappt und wirklich umgesetzt werden kann. In beiden Deutungshorizonten der Spiritualität (Zen-Buddhismus und Christentum) ist Identitätsarbeit an dieser Ambiguität nötig. Es geht letztlich um Selbstbildung. Die Zugänge sind jedoch unterschiedlich. Im weiteren Verlauf des Workshops diskutierten die Teilnehmenden praktische Zugänge zu Selbstbildung und Achtsamkeit.


Ausgehend von der Wissenserweiterung durch die Referentin und dem Konzept der Metakognition kam ein bestimmtes Selbst- und Weltverhältnis zur Sprache, das auch für den Resilienzprozess von Bedeutung sein könnte. Im Prozess würde es dann weniger um die Bedeutung der Worte, sondern vielmehr um das Erleben der Worte gehen. Es lässt sich von einer idiolekten Semantik sprechen, bei der das Wort und im Folgenden auch das Erzählen an sich das Erleben ist. Die Kultur stellt eine gewisse Basis dar, die Interpretation soll hier Kohärenz herstellen. Aber Authentizität ist wichtig: ich merke, wie ich denke. Die Krise verlangt nach einer Bewertung, einer Einordnung. Resilienz kann gedacht werden als Offenheit für ein Tun, nicht um des Tuns willen. In die Präsenz kommen heißt dann auch, sich selbst genug zu sein. Bestimmten Situationen und Erlebnissen wird die je eigene Art von Bedeutsamkeit beigemessen und nicht einfach von außen übernommen. So kann es zu Reformulierung von Zielerwartungen kommen. Der Prozess der Selbstbildung findet um des Prozesses willen statt. Man arbeitet mit sich selbst im Augenblick. Die möglichen Grenzen der eigenen Kräfte werden so bewusst erfahren. Aufmerksamkeit auf das eigene Selbst und Sein funktioniert dann als Entschleunigungsinstrument zur Krisenbewältigung und setzt einen Resilienzprozess in Gang. Achtsamkeit schafft es hier gerade in der Prozesshaftigkeit und Unsicherheit Stabilität zu generieren. Für die gesellschaftlichen Strukturen könnte man schlussfolgern, dass es zur Selbstbildung und letztlich zur Krisenbewältigung beiträgt, wenn Resonanz ermöglicht wird (TP 3), achtsame Präsenz geübt und ausgestrahlt werden darf (TP 2) und aus der Methode der Achtsamkeit und des Erlebens der Konditionalität eine neue Kraft zu steuern, eine Transformation, eingeleitet werden darf (TP 5).


Das Anliegen des Workshops, die Zen-Philosophie näher kennenzulernen und mit der Projektarbeit zu verbinden, wurde durch die Gesprächspartnerin sehr gut erreicht. Sie ermöglichte gemeinsamen Austausch und setzte neue Akzente in der Verbindung zwischen Spiritualität, Achtsamkeit und Resilienz.

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