06. Juli 2022

"Epistemische Grundlagen der angewandten Ethik“ mit Christiane Woopen "Epistemische Grundlagen der angewandten Ethik“ mit Christiane Woopen

Workshopbericht

Ein Bericht von Johanna Bolin (TP 0)

Neues aus dem Resilienzprojekt
Neues aus dem Resilienzprojekt © DFG-FOR 2686
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Am 17.05.2022 fand der Workshop „Epistemische Grundlagen der angewandten Ethik“ des Teilprojekts 0 mit der Humanmedizinerin und Ethikerin Christiane Woopen statt. Sie ist seit 2017 „external expert“ des Forschungsprojektes. 2021 wechselte sie von der Universität zu Köln an die Universität Bonn, um dort die erste Heinrich-Hertz-Professur im Transdisziplinären Forschungsbereich „Individuen, Institutionen und Gesellschaften“ zu besetzen. Am neu eingerichteten „Centre for Life Ethics“ forscht sie interdisziplinär zu vier Dimensionen, die das individuelle und gesellschaftliche Leben unter Veränderungs- und Gestaltungsdruck setzen: Technisierung, Ökonomisierung, Ökologisierung und Globalisierung.

 

Der Workshop begann mit einer kurzen Einführung durch die Sprecherin der Forschungsgruppe, Cornelia Richter, die als Systematische Theologin einen Überblick über die theologischen Arbeitsweisen und die interdisziplinäre Arbeit im Resilienzprojekt gab. Innerhalb der Theologie sei es gängige Praxis, so Richter, dass Wissenschaftler*innen mit epistemologischen Fragestellungen umgingen, die zugleich stets ethische Dimensionen hätten. Ähnliches gelte für die interdisziplinären Resilienzforschung. Dort bestehe zum Beispiel eine Herausforderung darin, fachspezifisch exakt zu arbeiten und dennoch interdisziplinär innovativ zu bleiben. Gleichzeitig tangiere die Forschungsgruppe mit dem Resilienzbegriff stets ethische Bereiche, die unterschiedlich ausgeprägt seien. Außerdem berühre die Resilienzforschung zusätzlich verschiedene ethische Dimensionen des menschlichen Lebens. Werde beispielsweise die Frage gestellt, wer im klinischen Kontext eigentlich Ressourcen habe, um Resilienz auszubilden, würden ökonomische Fragen gestellt: Wie viele Kolleg*innen braucht es beispielsweise auf einer Intensivstation? Dies sei eine der Schnittstelle zwischen Resilienzforschung und der Arbeit des „Centre for Life Ethics“.

 

Christiane Woopen schloss ihren Vortrag über epistemische Grundlagen der angewandten Ethik an, indem sie einige Beispiele nannte, die veranschaulichen, wie präsent die Fragen nach Ethiken im gesellschaftlichen Zusammenleben sind. Eines dieser Beispiele bezog sich auf Amazon. Das Unternehmen nahm vor einiger Zeit ein automatisiertes Bewerbungssystem zurück, da sich herausstellte, dass dadurch Frauen systematisch benachteiligt wurden. Man habe die Künstliche Intelligenz (KI) im Vorhinein trainiert und gefüttert. Dann zeichnete sich aber ab, dass die KI diskriminierendes Verhalten erlernte und das automatisierte System ließ sich ethisch begründet nicht weiterverwenden. Ethische Fragen bestimmen, so Woopen, den Alltag auf elementare Weise. Denn auf der Suche nach Antworten, wie Menschen sich „richtig“ verhalten, lande man letztendlich stets bei ethischen Fragen: „Wir können uns nicht dazu entscheiden, uns nicht zu entscheiden, weil das schon eine Entscheidung ist“, erklärte Woopen. Der Begriff des Handelns müsse daher in einem weiten Sinne verstanden werden: Handeln können nicht nur Menschen, sondern auch Institutionen und Gesellschaften. Außerdem umfasse Handeln neben dem aktiven Aspekt des „etwas Tun“ eben auch das „Lassen“.

 

Angewandte Ethik bedeute daher, erklärte Woopen, Regeln und Prinzipien auf konkrete Sachverhalte anzuwenden. Dabei werde das Wissen der Ethik zu den Erkenntnissen und dem Wissen zu spezifischen lebensweltlichen Konstellationen in Beziehung zueinander gesetzt, um daraus Maßstäbe und eine Orientierung für das konkrete moralisch richtige Handeln zu entwickeln. Unter „Wissen“ versteht Woopen wahre, berechtigte Überzeugung. Demnach sei eine Person überzeugt und kann die Überzeugung begründen. Es sei Aufgabe der angewandten Ethik das Wissen auf zusätzliche implizite Wertungen zu prüfen und diese aufzudecken. Auf dieser Grundlage müssten daraufhin Abwägungen erfolgen, die letztendlich zu einer ethischen Bewertung und Empfehlung führen. Woopen betont dabei, angewandte Ethik müsse kultursensibel und kontextsensitiv sein. Eine Situation in Deutschland könne somit anders bewertet werden als die gleiche Situation in einem anderen Land. Epistemisch müssten Wissenschaftler*innen Woopen zufolge bescheiden sein, da Empfehlungen der angewandten Ethik stets auf epistemischer Vorläufigkeit und Revidierbarkeit beruhen.

 

Die anschließende Diskussion bezog sich unter anderem auf das Verständnis von Wissenschaften. Woopen bezeichnete die wissenschaftliche Arbeit in Abgrenzung zur Politik als „kompromisslos“. Dem hatten, besonders im Angesicht der gesammelten Erfahrungen mit der interdisziplinären Forschungsgruppe, einige Wissenschaftler*innen etwas entgegen zu setzen. Im Alltag eines Wissenschaftlers/einer Wissenschaftlerin sei stets die Frage nach der Darstellung der Forschungsergebnisse gegeben. Je nach Methode, je nach Fragestellung, könnten Ergebnisse unterschiedlich interpretiert, abgefragt oder dargestellt werden. Auch in der Zusammenarbeit von verschiedenen Forschungsdisziplinen seien Wissenschaftler*innen stets auf Prozesse des Austauschens und Abgleiches angewiesen, wozu mindestens vorläufig Kompromisse gehören. Dabei sei es wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Vor allem, wenn es darum gehe, wissenschaftliche Ergebnisse zu interpretieren und ihre Bedeutung für die Gesellschaft einzuordnen.

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