27. Januar 2022

Workshopbericht „Empathy and Care“ Workshopbericht „Empathy and Care“

Ein Text von Thorben Alles und Johanna Bolin aus TP 0.

Am 29.11.2021 veranstalteten die Teilprojekte 0 und 3 einen Workshop mit dem dänischen Philosophen Dan Zahavi zum Thema Empathie.

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Am 29.11.2021 fand unser Workshop zum Thema „Empathy and Care“ statt, auf dem der dänische Philosoph und Direktor des Kopenhagener Center for Subjectivity Research, Dan Zahavi, sein phänomenologisches Konzept von Empathie präsentierte und mit den Teilnehmenden darüber diskutierte. Die Konzeption als Online-Veranstaltung war zwar dem Pandemiegeschehen geschuldet, ermöglichte dadurch aber vielen die Teilnahme und einen regen Austausch untereinander.

 

Nach einer kurzen Begrüßung durch die Sprecherin der Forschungsgruppe, Cornelia Richter, gab Thiemo Breyer unter dem Titel „Introduction: Phenomenology in Applied Contexts“ eine Einführung in die Grundlagen und Begriffe von Phänomenologie und Empathieforschung. Zunächst stellte er Grundlagen zu Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, vor. Im Anschluss informierte er zur Forschung über Husserls Werk an den Husserl-Archiven in Leuven, in Köln – wo er selbst Direktor ist – in Freiburg, Paris und New York vor. Davon ausgehend erläuterte er die zentralen phänomenologischen Begriffe und das Konzept der Empathie. Letztgenannte sei auszudifferenzieren in verschiedene empathische Erfahrungen, die gemacht werden können (z. B. affektive Resonanz, körperliche Resonanz, Mentalisierung). Als Zugriff biete sich hierbei die Einteilung in körperliche, affektive und kognitive Empathie an.

 

Darauf folgte Dan Zahavis Vortrag unter dem Titel „Empathy, Morality and Care“. Nach einer kurzen Übersicht über gängige Verständnisse von Empathie und deren Bedeutung für Moralität thematisierte er die Empathiekritiken von Nils Bubandt und Rane Willerslev („The Dark Side of Empathy“, 2015) sowie von Paul Bloom („Against Empathy“, 2014). Gemäß Zahavi kritisieren die Erstgenannten, dass Empathie nicht nur zu moralischem Handeln, sondern gerade auch zu unmoralischem, manipulativem, grausamem oder sadistischem Handeln befähigte. Der Zweitgenannte mache darauf aufmerksam, dass Empathie als Parteilichkeit für nahestehende Menschen moralischem und insbesondere unparteiischem Handeln im Wege stünde. Zahavi merkte gegenüber diesen Kritiken an, dass die Originalität dieser Vorbehalte zu bezweifeln sei und zudem nicht den Stand der phänomenologischen Empathieforschung berücksichtige. So sei es beispielsweise unumstritten, dass die Fähigkeit der Perspektivenübernahme zu manipulativen Zwecken gebraucht werden kann. Als Beispiel nannte er Max Schelers Feststellung, dass Grausamkeit Empathie zur Voraussetzung habe. Des Weiteren sei es wichtig, sich der Unterschiedlichkeit der Verständnisse von Empathie bewusst zu sein. Während es bei Bloom um ein Teilen oder Nachempfinden von Gefühlen („affective sharing“) gehe, handele es sich bei Bubandt und Willerslev vorrangig um eine imaginative Perspektivenübernahme („imaginative perspective taking“). Angesichts der bereits von Breyer angedeuteten Differenzierungsnotwendigkeiten muss der Diskussion um Empathie daher eine genaue Bestimmung des Begriffes zugrunde liegen. Eine solche entwickelte Zahavi im zweiten Teil seines Vortrages.

 

Ausgehend von Theodor Lipps’ Konzept der Einfühlung stellte er fest, dass Empathie ursprünglich ein epistemischer Begriff ohne moralische Bedeutung oder vorrangigen Bezug auf Gefühle gewesen sei. Daran anschließend entwickelte Zahavi mit den frühen Phänomenologien Edmund Husserls, Max Schelers und Edith Steins ein Verständnis von Empathie, welches diese vorrangig in Bezug auf das Verstehen von anderen konzipiert. Dieses sei unmittelbar in dem Sinne, dass die Erfahrungen der anderen Person(en) durch die Präsenz dieser Person(en) auf eine Art und Weise erlebt würden, die sich nicht durch Überzeugungen, Schlussfolgerungen etc. in Abwesenheit dieser Person(en) herstellen lasse. Empathie sei daher als die generelle Fähigkeit („ability“) zu verstehen, die Innenwelt („life of the mind“) anderer anhand ihrer Äußerungen, ihres Verhaltens und ihrer Handlungen („expressions, expressive behavior and meaningful actions“) zu erfassen („to access“).

 

Folglich sei festzustellen, dass Empathie im zuvor erläuterten Verständnis durchaus relevant, zugleich aber auch keineswegs hinreichend für Moralität sei. Entsprechend seien die sogenannten ‚dunklen Seiten‘ der Empathie, also beispielsweise die Befähigung zum Missbrauch und zur Manipulation anderer, durchaus zu berücksichtigen. Weder handele es sich bei Empathie um eine imaginative Perspektivenübernahme, noch sei ein Teilen oder Nachempfinden von Gefühlen notwendig für Empathie. Entsprechend würden die zu Anfang thematisierten Empathiekritiken weder dem Empathiebegriff noch der Empathieforschung gerecht.

 

In einem knappen dritten Teil ging Zahavi auf die praktische Anwendung des phänomenologischen Empathieverständnisses im klinischen Kontext ein. Zur vertiefenden Lektüre in Bezug auf die Bedeutung phänomenologischer Ansätze im klinischen Kontext sei hier der Artikel „Phenomenology in Nursing Studies: New Perspectives“ empfohlen, den Zahavi 2019 gemeinsam mit Kristian Martiny im International Journal of Nursing Studies publiziert hat. Auf dem Workshop fokussierte er unter anderem die Frage nach der Trainierbarkeit von Empathie. Ein direktes Training scheitere daran, dass Empathie eine grundsätzlich vorhandene Fähigkeit beschreibe, die unmittelbar sei und sich entsprechend kontrollierender Steuerung entziehe. Zugleich sei jedoch darauf hinzuweisen, dass Empathie durchaus gehemmt und gehindert oder unterstützt und befördert werden könne. Es gehe dabei dann nicht darum, Empathie zu erlernen. Stattdessen könne aber eingeübt werden, die vorhandene Fähigkeit der Empathie auch in bestimmten Situationen zu nutzen anstelle von anderen Formen sozialer Kognitionen. Unter anderem könne eine Offenheit gegenüber anderen kultiviert werden, welche vermeide, die anderen anhand bestimmter sozialer Kenntnisse, Schlussfolgerungen etc. gleich festzuschreiben.

 

In der anschließenden ausführlichen Diskussion wurde unter anderem dieser letzte Punkt aufgegriffen: Könnte es sein, dass zwischen dem Problem der Trainierbarkeit von Empathie und der Trainierbarkeit von Resilienz eine Ähnlichkeit besteht? Und ließe sich vielleicht aus der Empathieforschung für die Resilienzforschung hierzu lernen?

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